· 

Hamburgs Gästeführer atmen auf - Touren endlich wieder erlaubt


A.A.Lucas Gästeführer in Hamburg
A.A.Lucas an seinem ehemaligen Arbeitsplatz in Hamburg

Knapp zweieinhalb Jahre ist es her, dass das Corona Virus in Deutschland zu einem massiven Lockdown geführt hat. Für viele Unternehmer bedeutete dies eine fast nicht auszuhaltende Härte, die zu einem unvorhergesehenen Einbruch ihrer Einnahmen geführt hat. Im Tourismus sind es ganz besonders die Gästeführer, die durch ihre meist sehr kleinen Firmen oder sogar im Einmannbetrieb zittern mussten, wann und ob sie überhaupt jemals wieder ihre Angebote für Gäste zugänglich machen dürfen. Der Hamburger Senat hat nun wieder Stadttouren mit Teilnehmern bis zu 200 Personen erlaubt. Wir haben mit einem von Hamburgs erfolgreichsten Gästeführern gesprochen.


A.A.Lucas in der Corpus Delicti Tour in Hamburg
A.A.Lucas in der Corpus Delicti Tour in Hamburg

Andrew-Anthony Lucas (46)

ist Künstler, Autor und Entertainer.

  • Als Schauspieler und Gästeführer verkörpert er die Rolle des "Kommissar Toll" in der CORPUS DELICTI TOUR in Hamburg.
  • Am Tag des Lockdowns hat er den Mietvertrag für eine größere Wohnung unterschrieben.
  • Von dem Virus erfuhr er erst später, durch die Medien.
  • Noch am selben Tag schrieb er seine Kunden an und konnte nur tatenlos mitansehen, was dann geschah.

Wir haben mit ihm über seine Erfolge und seine Ängste gesprochen.


Vom Schauspieler zum Gästeführer


Herr Lucas, Sie haben lange als Schauspieler und Sänger in Deutschland gearbeitet.

Warum sind sie in den Tourismus abgewandert?

 

Ich durfte in den 90´er Jahren auf vielen deutschen Bühnen stehen. Nicht zuletzt sogar für eine Spielzeit im Ohnsorg Theater.

Meine letzte Rolle in einem Ensemle war die des "Mackie Messer" in der Dreigroschenoper. Einmal habe ich sogar den 80jährigen Harpagon in Moliéres "Der Geizige" gespielt. Fast immer waren es Hauptrollen, für die man mich engagiert hat. Doch irgendwann ging es im Show-Business allgemein bergab, das konnte man schon an den deutschen TV Produktionen, Anfang der 2000´er sehen.

 

Im sogenanten Hartz4-TV wurden anfänglich sogar ausgebildete Schauspieler zu Niedrigstpreisen eingesetzt. Auch ich landete irgendwann in einer dieser Produktionen. Das war schon sehr frustrierend. Als meine Einnahmen aus meiner künstlerischen Arbeit zu niedrig wurden, musste ich irgendwas anderes machen. Aber ich wollte meine Talente ausleben und das machen, was ich am besten kann - performen.

 

So landete ich zunächst in einem Hamburger Museum, das mich etwa neun Jahre lang zwar eher schlecht als recht ernährt hat, aber immerhin habe ich dort viel über den Beruf des Gästeführers gelernt. Und ich konnte mein bis dahin nur mittelmäßiges Englisch pefektionieren, denn für lange Zeit war ich dort der einzige Guide, der das konnte.


Corpus Delicti Tours - Das Buch
Corpus Delicti Tours - Mit diesem Buch fing alles an.

Wie kam es dann dazu, dass Sie sich mit Stadttouren selbständig gemacht haben und wie ist es Ihnen gelungen, in der freien Wirtschaft zu bestehen?

 

Das war schon echt hart. Wie gesagt, war die Bezahlung in dem Museum nicht gerade rosig und so musste ich wohl oder übel selbst in den Sattel eines Unternehmers springen, wenn ich mich nicht mit zweihundert Euro Rente im Alter zufrieden geben wollte. Außerdem bekam ich extreme Rückenprobleme, weil ich meist in gebückter Haltung arbeiten musste. Ich musste also da weg.

 

Als sehr lesefauler Mensch hatte ich jedoch noch nie einen Krimi in der Hand gehabt und eigentlich interessierte mich dieses Genre bis dahin gar nicht.

Nach einer kleinen Marktanalyse aber stellte sich für mich heraus, dass eine Krimitour das beste Mittel war, um mich möglichst schnell am Markt behaupten zu können. Also ging ich den Weg eines Enterpreneurs und klapperte alle Behörden ab, um die erforderlichen Genehmigungen einzuholen. Dann folgten zwei Jahre Recherche über Hamburgs Kriminalfälle. Als nächstes musste die Tourroute geplant und mehrfach mit dem von mir verfassten Text abgelaufen werden - mit Stoppuhr - alles sehr aufwändig.

Am Anfang lief das Geschäft nicht besonders gut, aber das legte sich schnell. Die erste große Gruppe kam aus einem Gerichtshof.

 


Das Konzept interaktives Krimi Theater kommt gut an


Das Geschäft lief also gut an. Waren Sie denn als Chef von Anfang an richtig gut, oder haben sie zwischendurch auch Schiffbruch erlitten?

 

Natürlich hatten wir viele Kinderkrankheiten. Ich startete mit drei Angestellten. Die Einnahmen reichten aber kaum aus, um mich und alle Mitarbeiter gleichzeitig zu bezahlen. Ich wollte aber nicht den selben Fehler machen, wie mein voriger Chef. Also zahlte ich mir in den ersten Jahren gar kein Gehalt. Das lief auch ganz gut, bis etwas 2018.

 

Das Arbeitsamt hat mich ganz schön gepiesackt. Die wollten mich einfach aus ihrer Statistik raushaben. Das ging so weit, dass ich mitten in der Nacht Drohanrufe von einem Mitarbeiter des Jobcenters bekam - einfach unglaublich. Als es mir zu viel wurde, meldete ich mich aus dem Bezug ab und kündigte wohl oder übel meine Mitarbeiter. Seitdem mache ich alles allein und zahle mir ein regelmäßiges Gehalt.

 

Die Tour selbst war Anfangs aber auch wirklich nicht das gelbe vom Ei. Zwar war ich gefühlt besser als alle anderen Krimi-Guides in Hamburg, aber meine Arroganz wurde jäh bestraft, mit schlechten Bewertungen der Gäste und teilweise echt bösen Kommentaren im Social Media. Beinahe hätte ich einen Kunden verklagt, doch dann kam ich auf die Idee, dass die Kunden vielleicht im Recht sein könnten.

 

Also kam ich ins Grübeln. Ich habe die Tour dann innerhalb von zwei weiteren Jahren immer weiter verfeinert und sie zu dem gemacht, was sie heute ist - ein Theaterstück mit hohem Improvisationsanteil gepaart mit bewährten und zum Teil von mir selbst entwickelten Spielkonzepten - kurz: Interaktives Infotainment.


Jahresumsätze beinahe im sechsstelligen Bereich


Corpus Delciti Tours - Station - Strafjustizgebäude
A.A.Lucas als "Kommissar Toll" vor dem Strafjustizgebäude in Hamburg

Sie haben in 2019 einen beträchtlichen Umsatz gemacht. Wie kam das zustande. Sie waren doch jetzt allein. Woher der plötzliche Erfolg?

 

Das kam nicht aus dem Nichts. In den ersten Jahren war es lange nicht soviel aber ich hatte es irgendwie immer geschafft, die Einnahmen von Jahr zu Jahr jedes Mal zu verdoppeln. Das lag sicherlich auch mit an der neuen Qualität der Tour und der so entstandenen Mundpropaganda.

 

Als es dann aber 2016 auf einmal wieder weniger wurde, machte ich mich daran, meine KPI´s (Key Performance Indicators) zu analysieren. Dabei bekam ich Hilfe eines Ingenieuers von Airbus, der kostenlos in meiner kleinen Zweizimmerwohnung mitwohnte und zur Gegenleistung für mich als Unternehmensberater fungierte.

 

Außerdem belegte ich mehrere Kurse für Online-Marketing und besuchte auch einige Google-Seminare. Alles in Allem war das sehr fruchtbar für meine Funktion als Founder und CEO (Gründer und Geschäftsführer) meiner eigenen Firma.

 

Dass es dann 2020, von einem Jahr aufs andere, plötzlich so einbrechen würde...ich glaube damit hat niemand gerechnet.

 

Corona war ein Schock. Als es anfing, hatte ich gerade einen Mietvertrag für eine größere Wohnung unterschrieben.  Da ich keine Zeitung lese und kein Fernsehen schaue,  erfuhr ich erst in der U-Bahn vom Lockdown.


Es war ein Schock für alle


Wie sind Sie mit diesem Schock umgegangen?

Was hatte das für Auswirkungen auf Sie, als Unternehmer und auf Sie, als Mensch?

 

Zum Glück bin ich schon immer ein optimistischer Realist gewesen. Dass dann von einem Tag auf den anderen keine Einnahmen mehr reinkommen würden, das wusste ich sofort. Also wartete ich nicht, sondern ich agierte.

Noch in derselben Nacht schrieb ich jedem einzelnen Kunden eine persönliche e-Mail. Ich bat darum, besonnen und ruhig zu bleiben und bot allen an, dass sie Ihre Tour nachholen könnten, sobald es wieder losginge. Das machen wir aber seit jeher so.

 

Viele Kunden reagierten darauf sehr positiv und meldeten sich in den darauffolgenden Tagen, mit teilweise sehr herzlichen Antworten. Das gab mir zusätzlichen Mut, durchzuhalten. Als Mitglied des Tourismusverbands Hamburg und der Handelskammer habe ich guten Kontakt zu einigen Größen des Hamburger Tourismus und der Wirtschaft. So war ich immer schnell informiert und habe viel Zuspruch bekommen.

 

Doch es gab auch einen großen Schlag ins Gesicht. Ein großer Schweizer Ticketingparter, mit dem ich zusammenarbeite und der meine Tickets im Internet nicht nur verkauft sondern auch bewirbt, zahlte, ohne mich oder die Kunden zu Fragen, einfach alle Tickets wieder an die Kunden zurück. So machte ich von einem Tag auf den anderen einen Verlust vorn mehren Tausend Euro.

 

Als dann die Corona-Soforthilfe auf mein Firmenkonto kam, konnte ich für einen Moment durchatmen.

 

Menschlich bin ich von einigen Mitbürgern enttäuscht. Viele nehmen das Virus nicht ernst. Ich bin zwischendurch selbst an Corona erkrankt und weiß, wovon ich rede. Mittlerweile bin ich vollkommen genesen. Aber darum geht es nicht.

 

Viele tragen in der Bahn oder im Geschäft ihre Maske falsch oder gar nicht, entweder aus Unwissenheit, oder noch schlimmer aus Prinzip oder gar aus Protest. Damit gefährden Sie aber nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das, ihrer Mitmenschen. So ein seelenloses Verhalten finde ich unverantwortlich.

A.A.Lucas in seinem Büro in Hamburg
A.A.Lucas in seinem Büro in Hamburg

Wir können nur durchalten und hoffen


Wie sieht es jetzt für Ihr Unternehmen aus und was für eine Zukunftsprognose haben Sie?

 

Ich habe schon Anfang Mai 2020, erst mit kleinen Gruppen, bis zu 9 Personen, wieder losgelegt. Natürlich unter strickter Einhaltung der allgemeinen Kontaktbeschränkungen.

Seit Januar 2021 dürfen Gästeführer in Hamburg endlich wieder Gruppen (mit bis zu 200 Teilnehmern !) durch die Stadt führen.

 

Unsere Gruppen sind in der Regel bis zu 25 Personen stark, wenn sie aus verschiedenen Buchungen bestehen. Manchmal aber auch mehr.

 

Bei geschlossenen Gruppen (Firmen Events, Weihnachtsfeiern, etc.) liegt Anzahl meist bei ca. 50 Personen. 

 

Das Gute ist, dass unsere Sehenswürdigkeiten mit sehr viel Platz ausgestattet sind, so gibt es mit der Einhaltung der Corona Regeln keine Probleme.

 

Bevor ich die Arbeit wieder aufgenommen habe, hatte ich mich mit den Behörden in Verbindung gesetzt und mich dahingehend abgesichert, falls die Polizei uns anhalten würde.

Man hat mir die rechtlichen Komponenten erklärt und mir dann eine mündliche Genehmigung erteilt. Das reichte mir für´s Erste.

Die Einnahmen sind seitdem schon nach kürzester Zeit wieder auf etwa 40% des alten Niveaus angestiegen.

Nicht schlecht für einen Neuanfang.

 

Ich hoffe, dass ich das alte Niveau schnell wieder erreiche, denn ich habe noch viel vor - ich möchte nämlich expandieren.

Die CORPUS DELCITI TOUR soll es schon bald auch in anderen Städten geben.

Zusätzlich sind so einige Neuerungen geplant - das Begleitbuch zur Tour ist fast fertig und ein regelmäßiger Podcast ist bereits in Arbeit.

 


Virtuelle Tour


Zwischenzeitlich habe ich mit einem professionellen Kameramann sehr aufwändige Steadycam Aufnahmen von der Tour-Route gemacht, um eine virtuelle Tour online, im Live-Stream anbieten zu können (siehe Foto).

 

Das ist jetzt zwar nicht mehr unbedingt notwendig, doch das investierte Geld dafür soll nicht umsonst ausgegeben sein. Diese Online Live Tour wird es trotzdem wahrscheinlich irgendwann geben (vielleicht als DVD, für Menschen, die ihr Haus nicht verlassen können). 

 

Und dann bin ich auch im Fall eines möglichen neuen Lockdowns auf alle Eventualitäten vorbereitet. Ich habe also ein gutes Gefühl, was die Zukunft meines Unternehmens angeht.

 

Außerdem freue mich darauf, hoffentlich schon sehr bald wieder neue Mitarbeiter einstellen zu können. Denn das war seit jeher mein Bestreben - Arbeitsplätze schaffen - aber unter sehr viel besseren Konditionen, als ich sie einst hatte.

 

Vielen Dank, Herr Lucas, für das Gespräch.

 

Ich habe zu Danken.

 

 

                                                                                                                                                                                                      Interviewer: Marc Hölderlien.